Finanzwelt erklärt: Brexit ist Fiasko für Europa, aber besonders für deutsche Unternehmen

Teil 8: Brexit ist Fiasko für Europa, aber besonders für deutsche Unternehmen

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, der anstehende EU-Austritt von Großbritannien erhitzt regelmäßig die Gemüter und das nicht nur in Brüssel. Wie stehen Sie persönlich zum Brexit?

Benjamin Mudlack: Die Europäische Union verliert auf einen Schlag circa 16% Wirtschaftskraft. Das ist ökonomisch so schwerwiegend, als ob die 19 kleinsten EU-Länder den Staatenbund verließen. Damit ist der anstehende Brexit ein Fiasko für Europa und insbesondere für unsere deutschen Unternehmen. Nach den USA und Frankreich ist das Vereinigte Königreich mit einem prozentualen Anteil von etwas über 7% das drittwichtigste Exportland für deutsche Unternehmen. Etwaige Handelsbeschränkungen und Einfuhrzölle gingen zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen auf der Insel und könnten mittelfristig Arbeitsplätze kosten.

Wie genau die Verhandlungen diesbezüglich verlaufen werden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall schafft dieser aktuelle Status quo eine Atmosphäre der Unsicherheit für Unternehmen, die regen Handel mit britischen Unternehmen betreiben.

Generell bin ich ein Befürworter der direkten Demokratie und würde mir auch bei uns mehr Volksabstimmungen wünschen. Nehmen wir die Schweiz als beispielhaftes Vorbild. Dort werden derartige Abstimmungen sehr erfolgreich durchgeführt. Jedoch werden im Vorfeld die Bürger sehr dezidiert über die Konsequenzen und Details informiert. In Großbritannien waren sich viele Bürger aufgrund eines mangelhaften Wissenstandes gar nicht bewusst, was ein Austritt für Folgen haben würde. Es wurde ein populistischer Kampf gegen die Europäische Union geführt. Auch die sozialen Medien haben eine enorme manipulative Rolle zur Meinungsbildung der Bürger gespielt.

Ein großer Faktor war die Migrationspolitik auf dem Kontinent. Negativ geprägt von der großen Zuwanderung aus dem Commonwealth nach dem Zweiten Weltkrieg bekamen viele Bürger Angst. Das hatte Einfluss auf das Abstimmungsverhalten. Der zweite große Punkt war der stetige Rückgang der Industrieproduktion auf der Insel. Die Wirtschaft in Großbritannien ist geprägt von der starken Finanzindustrie in der sogenannten Londoner City. Die Industrie hätte eine Abwertung des Pfunds benötigt, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren. Die außenwirtschaftlichen Einnahmen der Finanzindustrie verhinderten diesen für die Industrie überlebensnotwendigen Vorgang. Wie ein arbeitsloser, frustrierter Industriearbeiter mit großer Wahrscheinlichkeit abgestimmt hat, können Sie sich denken. Der dritte Aspekt ist die unglaubliche Macht und Bürokratie, die von Brüssel ausgeht. Die Bürger fühlen sich durch Brüssels Vorschriften bevormundet und gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen ersticken regelrecht an der ausufernden Bürokratie und Regulierung. Nicht zuletzt dieses Thema wurde von den Austrittsbefürwortern ausgespielt.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Die Bürger fühlen sich durch Brüssels Vorschriften bevormundet und gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen ersticken regelrecht an der ausufernden Bürokratie und Regulierung.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Auch die Politik auf dem Kontinent hätte mehr Engagement für einen Verbleib der Briten zeigen können. Am 5. Juni 1975 gab es auch ein britisches Referendum zur damaligen EG-Mitgliedschaft, die das Land erst 1973 angenommen hatte. Im Vorfeld reiste unser damaliger Bundeskanzler Helmut Schmidt nach London, um eine flammende Rede zu halten. Die englische Presse feierte Herrn Schmidt für diese Aktion. Eine derartige Leidenschaft für die Europäische Idee hätte ich mir 2016 auch gewünscht.

Wirtschaftsforum: Nehmen wir persönliche Empfindungen bei Seite und werfen einen nüchternen Blick auf die Zahlen. Welche Konsequenzen lassen sich schon heute für den Finanzmarkt Europa beziehungsweise Deutschland ableiten?

Benjamin Mudlack: Wenn wir über die Finanzmärkte sprechen und da speziell über unseren Deutschen Aktien Index (DAX), dann gilt festzuhalten, dass sich der DAX zum Zeitpunkt des Referendums Ende Juni 2016 bereits in einer korrektiven Phase befand. Nach dem Abstimmungsergebnis setzte sich dieser Abwärtstrend fort und der DAX verlor im weiteren Verlauf noch knapp 1.000 Punkte. Ende August 2016 war diese Abwärtsbewegung bei circa 11.900 Punkten beendet. Im Anschluss sahen wir bis November 2017 ohne nennenswerte Rücksetzer eine fulminante Rally mit neuen Allzeithochs im Bereich deutlich über 13.000 Punkten. Die Märkte haben sich somit relativ wenig vom Brexit beeindrucken lassen.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Exportstarke Länder wie Deutschland verlieren ihren wichtigsten Verbündeten in Sachen Freihandel und die Sperrminorität im EU-Ministerrat.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Diese Robustheit der Aktienmärkte führe ich aber eher auf die lockere Geldpolitik der Notenbanken, das niedrige Zinsniveau und den allgemeinen Anlagenotstand zurück. Die Konsequenzen für unsere deutschen Unternehmen hatte ich bereits verdeutlicht. Exportstarke Länder wie Deutschland verlieren ihren wichtigsten Verbündeten in Sachen Freihandel und die Sperrminorität im EU-Ministerrat. In diesem – neben dem EU-Parlament – gesetzgebenden Organ der EU verfügte Deutschland zusammen mit Großbritannien und den Ländern des sogenannten D-Mark-Blocks (Niederlande, Österreich, Finnland) über diese Blockademöglichkeit, die bei Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit relevant ist. Sie basiert auf einem Bevölkerungsanteil von 35% und ist ohne Großbritannien nicht mehr gegeben. Der von mir geschätzte Ökonom Prof. Dr. Hans Werner Sinn fordert in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen den EU-Vertrag aus wichtigem Grund aufzukündigen und neu zu verhandeln. Wir könnten sonst von den transferleistungsorientierten südlichen Ländern dominiert werden und die Kontrolle verlieren. Das Gleichgewicht ist mit dem Austritt Großbritanniens dahin und verlagert sich zu unseren Ungunsten.

Wirtschaftsforum: Der Exodus der Finanzwelt aus London hat bereits begonnen. Dürfen wir künftig mit Frankfurt am Main das neue Finanzmekka der EU begrüßen und ist das wirklich eine Aufwertung des Standorts?

Benjamin Mudlack: Dieses Thema ist für mich absolut nebensächlich. Sicher werden einige Arbeitsplätze der Finanzindustrie nach Frankfurt verlagert und der Standort gewinnt an Bedeutung. Das ist für Frankfurt und die Region ein schöner Effekt und wertet den Wirtschaftsraum natürlich signifikant auf. An der Stelle gibt es aber auch Schattenseiten. Bei entsprechend enormer Verlagerung der Arbeitsplätze würden die Preise für Immobilien ebenso wie die Mieten durch einen Anstieg der Nachfrage nach Wohnraum enorm steigen. Der prozentuale Mietanteil vom Nettoeinkommen würde sich erhöhen. Das könnte sich nicht jeder und vor allen Dingen nicht jede Familie leisten.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Man sollte jetzt endlich aufwachen und die EU zur Zufriedenheit aller Mitgliedsländer reformieren und die Probleme anfassen.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Lassen Sie uns auf die Kernfragen der EU zurückkommen. Vielfach werden Stimmen von einem finanziell schmerzhaften Austritt Großbritanniens laut, um austrittswillige Länder abzuschrecken. Diese Denkweise ist für mich absolut unlogisch und in keiner Weise nachvollziehbar. Das hört sich extrem nach Zwangsehe an. Man sollte jetzt endlich aufwachen und die EU zur Zufriedenheit aller Mitgliedsländer reformieren und die Probleme anfassen. Der Regulierungs- und Bürokratisierungswahn zu Lasten der kleinen und mittelständischen Unternehmen und zu Gunsten der großen multinationalen Konzerne muss ein Ende finden. Nur so kann man der negativen Stimmung gegenüber der EU entgegenwirken und eine breite Zustimmung in der europäischen Bevölkerung erzeugen.

Ich bin gespannt, wie sich die Brexit-Verhandlungen weiterentwickeln. Die Wahrscheinlichkeiten für einen harten Austritt würde ich als gering einstufen. Im Laufe der Verhandlungen ist eine Aufweichung der Bedingungen wahrscheinlich. Man möchte ja schließlich auch danach noch vernünftig miteinander auskommen und Handel betreiben.

Lesen Sie am 19.01. den neunten Teil unseres Expertenwissens "Finanzwelt erklärt":
Wenn China wankt, droht ein Börsenbeben

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