Finanzwelt erklärt: Wenn China wankt, droht ein Börsenbeben

Teil 9: Wenn China wankt, droht ein Börsenbeben

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, China galt lange Zeit als Werkbank der Welt. Heute spielt das Land im Konzert der führenden Wirtschaftsnationen mit, wird auch von Europa hofiert. Ist das nur ein kurzes Intermezzo?

Benjamin Mudlack: Für ein kurzes Intermezzo hält diese Entwicklung schon zu lange an. China hat in den letzten Jahrzehnten ein enormes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum vorzuweisen. Die Wandlung vom Agrarland zur Industrienation ist gelungen. Mittlerweile ist China nicht mehr nur unsere verlängerte Werkbank, sondern darüber hinaus ein sehr wichtiger Absatzmarkt. Volkswagen erzielte die vergangenen Jahre ungefähr 30% des Umsatzes in China. Bei Siemens ist es ein Anteil von etwa 9%.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Mittlerweile ist China nicht mehr nur unsere verlängerte Werkbank, sondern darüber hinaus ein sehr wichtiger Absatzmarkt.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Auch im Bereich der Forschung und Entwicklung hat China extrem aufgeholt. Man wirbt recht aggressiv deutsche Wissenschaftler und Ingenieure an. Ein prominentes Beispiel ist der Chef-Entwickler des BMW-Hybridsportwagens i8, Carsten Breitfeld. Herr Breitfeld ist nun Vorstandsvorsitzender des chinesischen Elektrowagenherstellers Byton („Bytes on Wheels“). Auch einige seiner wichtigen Manager, Designer und Entwickler sind mit ihm nach China gewechselt. Elektromobilität in Verbindung mit autonomem Fahren stehen im Vordergrund der Unternehmungen.

In Interviews äußerte sich Herr Breitfeld kritisch in Bezug auf die Flexibilität und den Innovationswillen von BMW. Nun genieße er die „Start-up-Mentalität“ und Gestaltungsfreiheit beim chinesischen Milliarden-Projekt. Hoffentlich findet an der Stelle ein Umdenken in Deutschland statt. Wir müssen solche Kapazitäten unbedingt in unserem Land halten. Das gilt nicht nur für Automobilkonzerne.

Unabhängig von der bisherigen Erfolgsgeschichte, wird es für China herbe Rückschläge und auch Krisensituationen geben. Aber einen der vorderen Plätze was die wirtschaftliche Bedeutung in der Welt angeht, wird das Land absehbare Zeit belegen.

Wirtschaftsforum: Das chinesische Selbstbewusstsein wird besonders an großen Infrastrukturprojekten wie der „neuen Seidenstraße“ deutlich. Experten verweisen dabei mahnend auf den Rohstoffbedarf, der damit einhergeht. Frisst der Rote Drache den Rest der Welt?

Benjamin Mudlack: Aus Investorensicht ist mir Ihre Frage zu negativ formuliert. In einer sich andeutenden Steigerung der Nachfrage nach Rohstoffen sehe ich in erster Linie erhebliche Chancen. Als Investor suche ich günstige Einstiegskurse und benötige Käufer, die das jeweilige Asset nach mir kaufen und den Preis nach oben bewegen. Das ist die Investorensicht. Ein rohstoffverarbeitendes Unternehmen hat an der Stelle natürlich eine Herausforderung. Aber auch diese Unternehmen haben die Möglichkeit sich über die Märkte zumindest bis zu einem gewissen Teil abzusichern. Diese Chance nehmen nur sehr wenige Unternehmen wahr und der deutsche Mittelstand zumeist überhaupt nicht.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Der Rote Drache ist definitiv auf dem Vormarsch und gewinnt an Bedeutung. Aber er braucht uns auch als wichtigen Handelspartner.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Die „neue Seidenstraße“ ist ein auf Jahrzehnte ausgelegtes Infrastrukturprojekt. Der Weg führt von China bis in den Duisburger Hafen. Die Dimensionen sind gewaltig, man spricht von dem größten Projekt seit dem Bau der chinesischen Mauer. Über die „neue Seidenstraße“ ist der für China so wichtige Absatzmarkt Europa auf dem Land schneller, sicherer und zuverlässiger zu bedienen als auf dem Seeweg.

Die Chinesen denken extrem groß und ihre Planungen sind sehr strategisch über mehrere Jahrzehnte ausgerichtet. Das gilt nicht nur für die Projekte des Staates. Auch Unternehmen werden so ausgerichtet und geführt. Das ist auf lange Sicht ein enormer Vorteil.

Zusätzlich ist in Nicaragua ein Verbindungskanal zwischen dem Atlantik und dem Pazifik geplant. Ein großer Tiefseehafen in Nicaragua ist ebenfalls final in Planung. So macht sich das „Reich der Mitte“ unabhängig vom amerikanisch dominierten Panamakanal. China hat im Zuge der griechischen Privatisierung einen Anteil von 35% am Hafen von Piräus. Viele andere Hafenbeteiligungen und weitere Investitionen könnte man anführen.

An der Hamburger Hafengesellschaft hat man jedoch vergeblich versucht, einen dominierenden Gesellschaftsanteil zu bekommen. An einer Vielzahl von Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex sind chinesische Unternehmen bereits signifikant beteiligt. Der Rote Drache ist definitiv auf dem Vormarsch und gewinnt an Bedeutung. Aber er braucht uns auch als wichtigen Handelspartner.

Wirtschaftsforum: Blicken wir abschließend auf die Rolle Chinas an den Finanzmärkten. Inwiefern kann aus dem Drachen der nächste Schwarze Schwan werden, der die Börsen ins Wanken bringt?

Benjamin Mudlack: China als nächster Schwarzer Schwan ist definitiv ein mögliches und durchaus gefährliches Szenario. Die Verschuldung des chinesischen Privatsektors ist dramatisch in die Höhe geschossen. Man spricht über die unglaubliche Summe von circa 26 Billionen USD. 2017 haben chinesische Unternehmen für über 6 Milliarden USD hauptsächlich mittelständische deutsche Unternehmen übernommen oder sich beteiligt. Wie im M&A-Geschäft üblich, wurden die Übernahmen und Beteiligungen zu einem großen Teil durch Kredite finanziert. Sollte die Kreditblase in China platzen, hätte das direkten Einfluss auf die noch hier in Deutschland produzierenden Unternehmen. Ein etwaiger Liquiditätsabfluss hätte für die deutschen Tochterunternehmen verheerende Auswirkungen. Arbeitsplätze gerieten unter Umständen in Gefahr. Da besteht definitiv die Gefahr eines Flächenbrandes.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Chinas Kreditblase ist extrem gefährlich für die Weltwirtschaft, für deutsche Unternehmen und nicht zuletzt für die Finanzmärkte.“ Benjamin MudlackFinanzexperte

Der Immobilienmarkt in China ist ebenfalls dramatisch überhitzt und die Preise sind förmlich explodiert. Die Kriterien zur Kreditvergabe sind vergleichsweise gering. Das befeuerte den Bauboom und die Blasenbildung natürlich erheblich. Der Internationale Wirtschaftsfonds (IWF) mahnte diese Umstände jüngst an und forderte dringend eine Verschärfung der Bedingungen zur Kreditvergabe. Chinas Kreditblase ist extrem gefährlich für die Weltwirtschaft, für deutsche Unternehmen und nicht zuletzt für die Finanzmärkte.

Die Entwicklungen und Zusammenhänge um China sind extrem komplex und vielfältig. Denken Sie an die Abhängigkeiten, welche mit den extrem großen Positionen der Chinesen, die sie durch ihre Exportüberschüsse in Euro- und US-Anleihen halten, einhergehen. Die permanenten Verkaufsdrohgebärden gerade in Richtung der USA sind in den Medien allgegenwärtig und wurden jüngst verschärft. Auch die Vorwürfe der Industriespionage und die permanenten Währungsinterventionen der Chinesen, um den chinesischen Renminbi für die chinesische Exportwirtschaft niedrig zu halten, geben dauerhaft Anlass zur Diskussion.

Lesen Sie den zehnten Teil unseres Expertenwissens "Finanzwelt erklärt":
Der Immobiliensektor mit all seinen Risiken ist heiß gelaufen

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