Finanzwelt erklärt: 10 Jahre nach Lehman-Brothers: Politik als Spielball der Finanzindustrie

Teil 30: 10 Jahre nach Lehman-Brothers: Politik als Spielball der Finanzindustrie

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, vor zehn Jahren ging in den USA die Großbank Lehman Brothers pleite, was den Startschuss für eine globale Finanzkrise gab. Warum können wir das Thema nach wir vor nicht abhaken?

Benjamin Mudlack: In erster Linie, weil wir nach wie vor in einer extrem überschuldeten Welt leben und durch eine expansive Geldpolitik nur die Symptome bekämpft haben. Außerdem hat man es von politischer Seite nach wie vor versäumt, die Eigenkapitalquoten der Banken auf mindestens 20% hochzusetzen, die Investmentbereiche von den Banken abzuspalten und die allgemeine Deregulierung zurückzunehmen. Wenn man allerdings sieht, wie eng verwoben die Politik mit der Finanzwelt ist, dann hält sich die Verwunderung über die fehlgeleitete Gesetzgebung in Grenzen.

EZB-Chef Draghi ist ehemaliger TOP-Investmentbanker und Henry Paulson war von 1999 bis 2006 Vorstandsvorsitzender von Goldman Sachs. Das war unmittelbar bevor er unter George W. Bush Finanzminister wurde. Paulson hat das Krisenmanagement nach und während der Finanzkrise maßgeblich betrieben. In welchem Sinne dort Entscheidungen und Weichenstellungen getroffen wurden, kann jeder für sich selbst beantworten. Berechtigte Zweifel an einer Politik im Sinne der Allgemeinheit drängen sich in jedem Fall auf.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Wenn man sieht, wie eng verwoben die Politik mit der Finanzwelt ist, dann hält sich die Verwunderung über die fehlgeleitete Gesetzgebung in Grenzen.“ Benjamin Mudlack

Wirtschaftsforum: Die deutschen Medien widmeten sich insbesondere der Rolle des ehemaligen Chefs der Deutschen Bank Josef Ackermann und zeichneten das Bild eines rücksichtslosen „Brandstifters“. Inwiefern ist dieses Bild überzeichnet?

Benjamin Mudlack: Ihm allein den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben, ist eindeutig zu einfach und trägt der Komplexität der Gesamtthematik in keiner Weise Rechnung. Zunächst müssen wir erörtern, was genau die Krise überhaupt ausgelöst hat. Im Kern ging es den Banken darum, ihre Profitabilität zu steigern. So hat man das Kreditgeschäft im Zuge des Immobilienbooms massiv ausgeweitet.

„Josef Ackermann übte Druck aus und riet der Politik, die IKB durch die staatliche KFW-Bank zu retten. Man folgte ihm – und das, obwohl er die Krise durch die Geschäftspraktiken seines Instituts mit ausgelöst hatte.“ Benjamin Mudlack
Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker

Leider wurde eine Vielzahl an Darlehen auch an Kreditnehmer mit minderer Bonität und unzureichender Besicherung ausgegeben. Darunter leidet naturgemäß das Rating der Banken. Und so kam man auf die kreative beziehungsweise fragwürdige Idee, Pakete zu schnüren und die Darlehen zu verbriefen. Man mischte eine Vielzahl an Darlehen und verkaufte sie an eine Zweckgesellschaft, um sich der Risiken in der eigenen Bilanz zu entledigen. Dann fand die eigentliche Verbriefung statt.

Durch ein gutes Rating wurden die Papiere „finanzmarktfähig“ und konnten gehandelt werden. Da das Rating nicht der tatsächlichen Werthaltigkeit entsprach, tragen folglich auch die Ratingagenturen eine Mitschuld an der Misere. Geblendet durch das gute Rating und die Aussicht auf ein gutes Geschäft kauften unter anderem viele deutsche Landesbanken und auch die Deutsche Industriebank (IKB) diese Papiere. Der Schwindel flog auf und eine Vielzahl an Instituten geriet in Schieflage und musste teilweise sogar abgewickelt werden.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Es ist höchst perfide, dass diejenigen, die eine Krise durch ihre Geschäftspraktiken maßgeblich ausgelöst haben, die Regierungen in punkto Krisenmanagement beraten.“ Benjamin Mudlack

Die Deutsche Bank war im Bereich der Verbriefungen vorne mit dabei. Josef Ackermann, als maßgeblicher Entscheidungsträger der Deutschen Bank, stellte die Kreditlinien, welche die IKB bei der Deutschen Bank unterhielt, seinerzeit fällig. Diesen Vorgang kann man durchaus als Brandstiftung bezeichnen, denn durch diese Entscheidung geriet die IKB in Liquiditätsschwierigkeiten. Josef Ackermann übte Druck aus und riet der Politik, die IKB durch die staatliche KFW-Bank zu retten. Man folgte ihm – und das, obwohl er die Krise durch die Geschäftspraktiken seines Instituts mit ausgelöst hatte.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Politik als Spielball der Finanzindustrie durch die Deregulierung die Verbriefung unter kräftiger Mithilfe der Ratingagenturen ermöglicht hat. Das Traurige ist, dass bis heute niemand für dieses Kollektivversagen wirklich zur Rechenschaft gezogen wurde.

Wirtschaftsforum: Es bleibt festzuhalten, dass die Finanzwelt zu keinem Zeitpunkt nur aus Josef Ackermann bestanden hat, sondern auch aus anderen prominenten Köpfen in Führungspositionen. Warum haben diese sich nicht gegen den Kurs Ackermanns gestellt?

Benjamin Mudlack: Weil sich die Spitzenpolitiker sowohl durch die Deregulierung als auch durch das Krisenmanagement dem Willen von Josef Ackermann und anderen Vertretern der Finanzunternehmen gebeugt haben. Es ist höchst perfide, dass diejenigen, die eine Krise durch ihre Geschäftspraktiken maßgeblich ausgelöst haben, die Regierungen in punkto Krisenmanagement beraten. Man hätte ein Zeichen für eine starke und auch autonome Politik setzen können. Leider hat man sich dagegen entschieden. Durch die Rettungsaktionen trägt der Staat beziehungsweise die Allgemeinheit den Schaden und natürlich im Fall von Lehman auch der private Anleger, der Lehman-Zertifikate gekauft hatte.

Die Entscheidung, Lehman nicht zu retten, kann man auch durchaus hinterfragen. Andere Institute, wie zum Beispiel der Versicherungskonzern AIG, hat man von staatlicher Seite gerettet. Bei AIG hatten sich übrigens viele Finanzinstitute, auch die Deutsche Bank, gegen Kreditausfälle versichert. Auch dort drängt sich die Frage auf, inwieweit die Finanzlobby Einfluss auf die Rettungsaktion bei AIG genommen hat. Die Entscheidungsgrundlagen, welches Finanzinstitut gerettet wird und welches nicht, wurden der Allgemeinheit vorenthalten.

Ich hätte mir zu Zeiten der Krise nicht nur eine entschlossene und vollkommen unabhängig und transparent agierende Politik gewünscht, sondern auch, dass man ein Zeichen gesetzt und die verantwortlichen Finanzchefs und alle anderen Beteiligten zur Rechenschaft gezogen hätte.

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